#bleibzuhause

Facetten 2020 - Literarisches Jahrbuch der Stadt LinzVerlag Bibliothek der Provinz (Hrsg. Erich Klein) 2020

Die Schulen werden geschlossen. 

Bestelle auf amazon ein Trampolin. Hätte ein Ostergeschenk sein sollen. Aber es scheint mir vorzeitig benötigt.

Andreas und ich sind im homeoffice. Er erstellt einen Plan zur Nutzung des meeting rooms (= Kinderzimmer von Luis). Er legt mir eine Excel-Tabelle mit grünen Balken für die ganze Woche vor. Das sind seine Zeiten, erklärt er. 

Die WhatsApp-Gruppe „Kolleginnen“ ist aktiver denn je. 

Auch die „Matura“-Gruppe. Jeder ist wieder in seiner alten Rolle. Als wären wir nicht 27 Jahre älter (gar anders?) geworden. Gruppendynamik.
Man übertrumpft einander mit lustigen Videos, Fotos und Sprüchen zur Quarantäne. 

Im Fernsehen wird darüber diskutiert, ob man Karantäne oder Kwarantäne sagt. Ich dachte, es heißt Kwarantäne und komme mir ungebildet vor. Schreibe von nun an nur mehr Karantäne mit K

Es gibt keine anderen Nachrichten als empörte Fallzahlen. Liveticker.
Wie krank.

„Wir sind im Krieg“, sagen die Politiker. Eine Verhöhnung all jener, die tatsächlich in einem waren.

Es gibt Arbeitslose. Es gibt homeoffice Leute. Erstere wollen arbeiten, letztere eher weniger.

Man spricht vom Ziel des Abflachens der Kurve.

Astrid, die Ärztin der Familie, auf Mediziner-Adrenalin pur.

Es hagelt Nachrichten in der „Familien“-Gruppe.

Die Kinder hängen täglich um 19.30 Uhr an den Lippen von Tarek und Nadja oder Susanne und Johannes, als seien sie alte Bekannte.

Mir tut Italien leid. Und die alten Leute.

Ansonsten halte ich das alles für übertrieben. 

Viele bleiben gern zu Hause. Auch ich. Manchmal halt lieber allein.

Man lässt sich mitnehmen von der Empörungswelle. 

Die frische Luft ist gut für alle, heißt es. Man spaziert, walkt, joggt, radelt einander mit 1,5 m Abstand entgegen. 

Endlich können die Leute so unfreundlich auf Abstand gehen, wie es ihrer Natur entspricht.

Ich mag die leeren Straßen. Wenige Menschen.

Das Wochenende unterscheidet sich kaum von den Werktagen. Halt. Doch: Kein homeschooling (= ich mache nichts). 

Ich könnte endlich die Anwaltsprüfung machen. Und Plädoyerreden wie im Film halten.

Ich könnte einen Roman schreiben. Und einen Bestseller landen.

Ich könnte meine Übersetzerhomepage aufsetzen. Und mich selbständig machen.

Ich könnte einen Blog betreiben. Und ein coole Influencerin werden.

Ich kann nichts tun: 3 homeschooler, ein Mann im homeoffice, ich im homeoffice.

Brauche Futter für mein Hirn.

Fresse zuviel Schokolade. Schon totale Verstopfung.

Trinke zuviel coffee. Schlafe weniger denn je.

Keine Struktur. Nur das „Guten Morgen“ an den Werktagen von den Kolleginnen.

Viele sprechen von „Entschleunigung“. Ich hasse dieses Wort. Fühle mich nicht entschleunigt, sondern angespannt.

Mich nervt, dass ich mir die Haare selbst färben muss. Ein Luxusproblem, weiß ich doch.

Maske. Es gibt viele Worte, die zig Mal bemüht werden diese Tage. Maske ist eines davon. Dann gibt es noch: Isolation, Herdenimmunität, Quarantäne, big data Überwachung, Kurve, Ausgangssperre, social distancing, Systemrelevanz, Härtefonds, Kurzarbeit. 

Das Kabarett erlebt Spitzenzeiten. Ohne Humor wäre meine Welt tot.

Astrid sagt, die Intensivbetten sind alle leer. 

Die Forscher zeigen Simulationsmodelle zum Covid-19-Verlauf.

Zuviel Smartphone. Zuviel Nintendo. Keine Kraft, das bei den kids einzudämmen.

Die Putzhilfe kommt auch nicht mehr. 

Zumindest kocht Andreas. 

Trotz körperlichen Zusammenrückens seit der regierungsseitig verordneten Quarantäne fühle ich mich seelisch isoliert von allen.

Was kann man glauben aus den Medien? 

Die e-tools im Arbeits- und Schulleben auszudehnen, finde ich grundsätzlich eine gute Idee.

Die Luft ist rein, weniger CO2 Ausstoß.

Es sind Härtefonds eingerichtet worden.

Täglich werden mehr Millionen für die Wirtschaft und sonstige, leidende Zweige versprochen. Woher kommt das ganze Geld?

Virologe: sexiest job alive

Regierungen haben ihre Gurus, Experten. Wer sagt das Richtige?

Es ist so schwer, sich ein Weltbild zu machen. 

Das Trampolin ist schon 2 Mal umgekippt. Standort gewechselt. Weg von der Böschung. Nun ist es offenbar nicht mehr so lustig.

Täglicher Spaziergang mit den kids. 

Zu den Kindern mehr Kontakt, zu Andreas weniger. 

Haus, Garten. Wir müssen glücklich und dankbar sein. 

Alle anderen Krankheiten scheint es nicht mehr zu geben. Krebs, Herz-Kreislauf, Diabetes, Bandscheiben. Selbst meine eigenen Vorerkrankungen kommen mir unwirklich vor. Hatte ich die tatsächlich?

Aufregung: Eine Kollegin sei ein Verdachtsfall. Die Wellen gehen hoch.

Wochenende. Gemeinsamer Fahrradausflug mit der Familie. Wir radeln am Vormittag. 

Bis dato niemand aus dem Umfeld erkrankt. Sorge um meine Eltern, beide über 70. Aber die sind hart im Nehmen. Haben ein starkes Immunsystem. Müssen sich halt nun auch ausschließlich zu zweit aushalten.

Andreas und ich verstehen uns besser. Die Krise und die Sorge um mögliche Einkommensverluste machen uns weicher und solidarisch zueinander. 

Sind im Modus „Wir schaffen das.“ 

Theos Haare geschnitten. Habe unabsichtlich die Pilzkopffrisur des 90er Britpops getroffen. Er lacht, wenn er sich im Spiegel betrachtet. 

Mit Luis „Bastelchallenge“ (Osterhase aus Klopapier produzieren) erledigt. Foto gemacht. An die Frau Lehrerin geschickt.

Bin selbst wieder Schülerin. Habe die Wochenendregel für homeschooling
(= ich mache nichts) gebrochen.

Zeitumstellung auf Sommerzeit. Endlich.

Heute Spaziergang ausgelassen. Sonntag. Der Schlendrian kehrt auch bei uns ein. 

Morgen letzte Schulwoche vor den Osterferien. Brauche eine Pause. 

Werde mir Urlaub nehmen. Urlaub? Am schönsten ist es doch zu Hause.

Erwarte morgen die Regierungsbotschaft, dass alles so weitergeht nach Ostern wie die letzten beiden Wochen: homeoffice mit homeschooling. Toll. 

Krebs kann ich keinen mehr kriegen. Nur Corona. 

Andreas glaubt, er sei unsterblich.

Die Jogginghose ist draußen angekommen. Kaum mehr Leute auf der Straße in Jeans zu sehen. Karl Lagerfeld dreht sich im Grab um.

Mir fällt auf: Finn trägt seine Jogginghose auch seit 2 Wochen durchgehend.

Entweder die Leute fressen oder sporteln. Dazwischen gibt es nichts.

Das Fleisch fault am homeoffice Bürosessel ein. Rieche an mir selbst. Beginne ich zu faulen?

Maskenpflicht in den Supermärkten. 

Die Krise eint. Sogar die Parteien.